Die Photovoltaik erlebt in der Schweiz einen historischen Boom. Immer mehr Hausdächer, Gewerbebauten und Areale werden mit Solarmodulen bestückt. Doch während die Energiewende Fahrt aufnimmt, stösst das Stromnetz an seine Grenzen. Die zentrale Frage lautet: Wie kann Solarstrom so ins Netz eingespeist werden, dass die Versorgung stabil bleibt – und trotzdem der maximale Nutzen für Betreiberinnen und Betreiber entsteht?
Seit dem 1. Januar 2026 schafft das neue Stromgesetz die Grundlage für eine „netzverträgliche Einspeisung“. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) hat dazu eine Branchenempfehlung veröffentlicht, die für alle neuen Photovoltaikanlagen gilt. Was sich ändert, warum es sinnvoll ist und was das konkret für Endkunden, Immobilienbewirtschafter und Fachplaner bedeutet, beleuchten wir in diesem Beitrag.
Warum braucht es eine Regelung der Einspeisung?
Solarstrom als Treiber der Energiewende
Die Schweiz will ihre Klimaziele erreichen und setzt dabei stark auf Photovoltaik. Gemäss den Energieperspektiven 2050+ könnten bis zu 40 % des Jahresstromverbrauchs durch PV gedeckt werden – das wären rund 34 Terawattstunden pro Jahr (genug um sämtliche Haushalte der Schweiz mehr als ein Jahr mit Strom zu versorgen oder 3,4 Billionen Mal ein Smartphone aufzuladen).
Doch: Die Spitzenlast des Verbrauchs in der Schweiz liegt bei etwa 10 Gigawatt. Mit dem erwarteten Ausbau von rund 37 GWp installierter PV-Leistung könnten an sonnigen Tagen über 20 Gigawatt ins Netz fliessen – deutlich mehr, als die Infrastruktur ohne Verstärkung aufnehmen kann. Ein Netzausbau zwingt sich also auf.
Netzausbau braucht Zeit – und Geld
Das Stromnetz wurde historisch auf Verbrauch, nicht auf dezentrale Produktion, ausgelegt – damals hatte man noch nicht auf dem Schirm, dass im Jahr 2025 praktisch auf jedem Dach eine PV-Anlage stehen könnte. Verstärkungen und Umbauten sind teuer und dauern Jahre. Würde man allein auf Netzausbau setzen, käme die Energiewende garantiert ins Stocken.
Lösung: Einspeisung flexibilisieren
Die netzverträgliche Regelung der Einspeisung reduziert Lastspitzen und schafft damit Platz für tausende zusätzliche Solaranlagen – ohne massiven Netzausbau. Das Ziel: Mehr Photovoltaik im Netz bei gleichzeitig stabiler Versorgung.
Was bedeutet die neue 70 %-Regel?
Das Grundprizip der 70 %-Regel
Ab 2026 gilt: Alle neuen Wechselrichter bis 1’200 m ü. M.* müssen so eingestellt werden, dass am Netzanschlusspunkt höchstens 70 % der installierten Modulleistung eingespeist werden.
Beispiel:
- Eine Anlage mit 10 kWp Modulleistung darf maximal 7 kW ins Netz einspeisen.
- Die restliche Produktion kann direkt im Gebäude genutzt oder in einem Batteriespeicher zwischengespeichert werden.
* Ab einer Höhe von rund 1’200 m ü.M. zeigt sich gemäss VSE-Analyse, dass deutlich mehr Anlagen bei einer fixen Einspeiselimitierung von 70 % einen Produktionsverlust von über 3 % hätten. Darum gilt die Empfehlung nur für Anlagen unterhalb von 1’200 m ü.M. – dort liegt der Produktionsverlust in der Regel bei maximal 3 %. Oberhalb dieser Grenze ist die Situation anders, allerdings nimmt die Anzahl der betroffenen PV-Anlagen mit zunehmender Höhe stark ab. Deshalb wurde die Empfehlung bewusst auf < 1’200 m ü.M. begrenzt.
Auswirkung auf die Produktion
Studien zeigen: Der Produktionsverlust liegt im Jahresdurchschnitt bei unter 3 %, meist sogar deutlich darunter. Wer auf Eigenverbrauch und Speicher setzt, kann die Verluste praktisch auf null reduzieren.
Technische Umsetzungsmöglichkeiten
Fixe Einspeiselimitierung
Der Wechselrichter wird so parametriert, dass er maximal 70 % der Modulleistung ins Netz abgibt. Einfach, kostengünstig, und bei über 99 % der Anlagen kaum spürbare Verluste.
Spannungsabhängige Regelung (P/U-Funktion)
Die Anlage reduziert ihre Leistung automatisch, wenn die Netzspannung steigt. Das stabilisiert das lokale Netz und schützt vor Überlastung.
Fernsteuerung durch den Netzbetreiber
Über Schnittstellen oder Schaltkontakte kann der Verteilnetzbetreiber im Bedarfsfall die Einspeisung drosseln.
Intelligentes Energiemanagement
Ein Energiemanagementsystem (EMS) priorisiert Eigenverbrauch und Batteriespeicherung. Erst wenn diese ausgeschöpft sind, wird die Einspeisung reduziert. Das minimiert Ertragsverluste und steigert die Wirtschaftlichkeit.
Was bedeutet das für dich als
Endkunden
- Kaum Ertragsverluste, aber mehr Motivation zur Eigenverbrauchsoptimierung.
- Batteriespeicher oder smarte Verbraucher steigern die Unabhängigkeit vom Netz.
- Planungssicherheit dank klarer Vorgaben.
Immobilienbewirtschafter
- ZEV-Modelle (Zusammenschluss zum Eigenverbrauch) werden noch attraktiver.
- Fairere Abrechnungen zwischen Mietern/Eigentümern möglich.
- Zukunftssichere Investitionen in PV-Anlagen.
Fachplaner
- Einheitliche Branchenempfehlung vereinfacht Planung und Ausschreibungen.
- Klarheit über Anforderungen (70 %-Limit, Schnittstellen, EMS).
- Planung von Speicher und Flexibilitätsoptionen als neuer Standard.
Fazit & Ausblick
Die netzverträgliche Regelung der Einspeisung ist kein Hemmnis, sondern ein Beschleuniger für den weiteren Ausbau der Photovoltaik in der Schweiz. Mit der 70 %-Regel, intelligenter Steuerung und Speicherlösungen wird das Netz entlastet – und es entsteht Platz für zehntausende neue Solaranlagen.
Für Betreiberinnen und Betreiber bedeutet das: Volle Nutzung der eigenen Anlage, mehr Eigenverbrauch, minimale Verluste. Für das Energiesystem bedeutet es: Mehr Versorgungssicherheit und weniger Netzkosten.
Die Energiewende braucht nicht nur mehr Solarstrom, sondern auch ein kluges Zusammenspiel von Erzeugung, Verbrauch und Netz. Die Branchenempfehlung des VSE ist ein entscheidender Schritt in diese Richtung.
FAQ – Häufige Fragen zur netzverträglichen Einspeisung
1. Verliere ich durch die 70 %-Regel viel Ertrag?
Nein. Im Schnitt liegt der Verlust bei unter 3 %. Mit Eigenverbrauch oder Speicher ist der Strom nicht verloren.
2. Muss ich einen Batteriespeicher installieren?
Nicht zwingend. Aber ein Speicher steigert den Eigenverbrauch und macht die Anlage wirtschaftlicher – besonders im Zusammenspiel mit der Einspeiselimitierung.
3. Gilt die Regel auch für bestehende Anlagen?
Grundsätzlich für Neuanlagen ab 2026. Netzbetreiber können jedoch zusätzliche Massnahmen auch für bestehende Anlagen verlangen (Retrofit).
4. Wie wirkt sich das auf die Wirtschaftlichkeit aus?
Die Einspeisung wird leicht reduziert, dafür steigen die Vorteile von Eigenverbrauch und Speicher. Unterm Strich bleibt die Photovoltaik in der Schweiz hoch attraktiv.


